Kommentar: Mietendeckel nutzen und gemeinwirtschaftlichen Neubau stärken

Auf zum Neubau

Berlin Rot-Rot-Grün verfügt einen Mietenstopp in der Hauptstadt. Den gilt es zu nutzen (Erstveröffentlichung: Der Freitag, 26/2019)
Das baut aber keine einzige neue Wohnung!“ Dieses Argument prägte die Debatten vor dem Beschluss des rot-rot-grünen Senats in Berlin zum Mietenmoratorium, demnach die Mieten in Wohnungen ohne Preisbindung in der Hauptstadt in den nächsten fünf Jahren nicht steigen dürfen.

Es stimmt. Das Moratorium hat vor allem eine temporäre Schutzfunktion. Wie ein Regenschirm vor dem Nasswerden schützt, ohne dadurch gleich die Sonne scheinen zu lassen. Dieser Schirm wird dringend gebraucht. Die Mieten in bestehenden Mietverhältnissen in Berlin sind seit 2009 um 36 Prozent gestiegen – bei den Angebotsmieten liegt die Preissteigerung mit mehr als 65 Prozent noch höher. Da die Einkommen damit nicht Schritt halten konnten, müssen gerade arme Haushalte oft mehr als 40 Prozent ihrer geringen Einkommen für die Miete aufwenden.

Der Mietendeckel sieht auch eine Kappung der Modernisierungsumlage auf maximal 0,50 Euro pro Quadratmeter der Bruttowarmmiete vor, Mietsteigerungen bei Wiedervermietungen sollen ausgeschlossen werden. Damit wird die Verdrängungsökonomie unterbrochen: Ohne deutlich höhere Erträge bei der Neuvermietung verschwindet der wirtschaftliche Anreiz, seine Altmieter loszuwerden. So spannt der Mietendeckel für etwa 1,4 Millionen Mietwohnungen einen Schutzschirm.

Doch an den grundsätzlichen Konstellationen von Wohnungsknappheit, Bodenspekulation und sozialen Versorgungslücken ändert das Mietenmoratorium erst einmal nichts. Den Berliner MieterInnen soll eine Atempause gegönnt werden, heißt es in den Begründungen für das Mietgesetz. Das klingt bedrohlich nach der letzten Rast vor dem nächsten Aufstieg. Mit dem Mietendeckel wird Zeit gewonnen– die es für eine konsequente Sozialisierung der Wohnungsversorgung zu nutzen gilt.

Es ist wichtig, über die Einwände gegen den Mietendeckel zu sprechen. Die Argumente der Immobilienlobby waren erwartbar: Ein Mietendeckel ist verfassungswidrig. Ein Mietendeckel verschärft die Wohnungsnot. Ein Mietendeckel treibt Wohnungsunternehmen in die Pleite. Ein Mietendeckel verschreckt Investitionen und verhindert so den Neubau. Ob es vor dem Berliner Verfassungsgericht zu einem Normenkontrollverfahren kommt, wird man sehen. Die Panikmache und die Ankündigung eines Investitionsstreiks gehören jedoch zur typischen Choreografie von wohnungspolitischen Debatten. Aufgeführt wurde sie auch vor Einführung der Mietpreisbremse; zum Vorschlag höherer Sozialquoten für Neubauprojekte und zur Kürzung der Modernisierungsumlage. Die Marktlogik der Wohnversorgung bringt eine diametrale Abhängigkeit wirtschaftlicher Gewinne und sozialer Effekte mit sich: Höhere Gewinne und niedrige Mieten schließen sich aus. Jede soziale Auflage ist letztendlich eine Gewinnschmälerung und trifft auf den organisierten Widerstand der Wirtschaftsinteressen.

Der DDR-Vergleich hinkt

Typisch für diesen Widerstand ist der Vergleich mit der DDR: Der desaströse Altbaubestand zeige, ähnlich wie die kaputten Innenstädte in Spanien und Portugal, die verheerende Wirkung von staatlichen Mietpreisbegrenzungen. Doch im Gegensatz zur DDR-Miete reichen unter den aktuellen Bedingungen selbst Mieten von vier Euro pro Quadratmeter aus, um in einem bereits abgezahlten Wohnhaus alle notwendigen Instandhaltungsarbeiten durchzuführen, die Hausverwaltung zu bezahlen und einen angemessenen Eigenbetrag zu erhalten. Ein Mietendeckel gefährdet nicht die Wirtschaftlichkeit, er erzwingt den Verzicht auf die zusätzliche Steigerung eines leistungslosen Gewinns, der aus den Besitztiteln abgeleitet wird. Wenn Vermieter bei der Instandhaltung sparen, so nicht, weil die Mieterträge nicht ausreichen, sondern weil der Gewinnanteil maximiert wird.

Neu an den Protesten gegen den Mietdeckel in Berlin sind jedoch die scharfen Gegenstimmen von landeseigenen Wohnungsunternehmen und der Genossenschaften. Als zentrale Partner einer sozial ausgerichteten Wohnungspolitik rechneten sie vor, wie hoch die künftigen Mindereinnahmen durch den Mietendeckel ausfallen und wie sehr das ihre eigenen Neubauprojekte beschränken würde. So argumentierten die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften, dass sich der Verzicht auf eine jährliche Mietsteigerung um zwei Prozent im Laufe der fünf Jahre für die 300.000 Wohnungen auf etwa 500 Millionen Euro summieren würde – Geld, das für den künftigen Wohnungsbau fehle. Unabhängig davon, ob die Wohnungsbaugesellschaften tatsächlich regelmäßig flächendeckend die Mieten erhöhen – bisher waren es im Durchschnitt eher ein Prozent pro Jahr. Bleibt das Argument, dass ohne Mieterhöhungen weniger Geld für den Wohnungsneubau zur Verfügung stünde.

Ein kumulierter Mieterhöhungsverzicht von 250 bis 500 Millionen Euro in fünf Jahren klingt nach viel Geld. Doch ein Blick auf die Daten zeigt, dass der daraus ableitbare Neubaueffekt eher beschränkt wäre: Bei den derzeitigen Baukosten würden die gestrichenen Mieterhöhungen in der Summe für 300 bis 600 Neubauwohnungen pro Jahr reichen. Hinzu kämen nach ähnlicher Kalkulation noch einmal 180 bis 370 Wohnungen pro Jahr, die aus den nun gestoppten Mieterhöhungen von den Genossenschaften finanziert werden können. Ein maximaler Jahreseffekt von knapp 1.000 Wohnungen durch landeseigene Wohnungsunternehmen und Genossenschaften steht dabei einer Gesamtentlastung von 1,4 Millionen MieterInnen entgegen.

Der in Berlin dringend benötigte Neubau kann nicht aus Mietsteigerungen finanziert werden. Selbst wenn alle Mietsteigerungen – also auch die der privaten Vermieter – in den Neubau fließen würden, käme dabei eine Jahresneubauleistung von etwa 4.000 Wohnungen heraus. Gebraucht werden aber 20.000 neue Wohnungen pro Jahr. Es ist unseriös, den Mietendeckel der Neubauleistung gegenüberzustellen: Auch die Neubauwohnungen würden so kalkuliert werden, dass sie Erträge generieren und nicht vollständig aus den Mieterhöhungen im Bestand bezahlt werden. Und es wäre paradox, eine soziale Wohnversorgung im Neubau mit dem Verlust von leistbaren Mieten im Bestand erkaufen zu wollen.

Deutlich wird jedoch: Soziale Wohnversorgung ist nicht zum Nulltarif zu haben. Das Rechenbeispiel von landeseigenen Wohnungsunternehmen und Genossenschaften verweist auf die Defizite der bisherigen Förderkonditionen. Der öffentliche und gemeinnützige Wohnbau in Wien zeigt, dass eine langfristige Kalkulation ohne Mietsteigerungen mit hohen Neubauleistungen verknüpft werden kann. Voraussetzung dort ist neben einem auskömmlichen Förderprogramm die Gemeinnützigkeit der Wohnbauträger. Vorschläge für eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit werden hierzulande jedoch von der öffentlichen Wohnungswirtschaft und vielen Genossenschaften abgelehnt, zu tief sitzt scheinbar die Furcht vor staatlichen Auflagen und Bürokratie.

Damit das Berliner Mietenmoratorium nachhaltig wirkt, muss die Zeit genutzt werden, um Anreize für eine soziale Neuausrichtung des öffentlichen und genossenschaftlichen Wohnungsbaus zu setzen: durch entsprechende Förderbedingungen und eine sozial orientierte Liegenschaftspolitik. Sollte die Furcht der Immobilienwirtschaft zutreffen, dass der Mietendeckel private Investitionen verhindert, müssten die Grundstückspreise ja deutlich fallen – was für eine Ausweitung des öffentlichen Bodenfonds genutzt werden könnte, sodass neben den Fördergeldern auch die Grundstücksvergabe zur Sicherung eines sozial ausgerichteten Wohnungsbaus genutzt werden kann. Wenn Rot-Rot-Grün dem gemeinwirtschaftlichen Neubau Vorrang einräumen will, muss es Bedingungen für eine dauerhafte Bindung von bezahlbaren Wohnungen schaffen – ohne dass die Mieten dafür angehoben werden müssen.

Kommentar: Die Mieten sind zu hoch

 

Die Informationen aus dem Institut der deutschen Wirtschaft (iwd) haben  gefragt, ob die Mieten zu hoch sind. Die Antworten von Michael Voigtländer („Nein“) und mir („Ja“) können hier nachgelesen werden: Sind die Mieten zu hoch?

Meinen Kommentar gibt es auch hier zu lesen:

Sind die Mieten zu Hoch? Ja.

Schon jetzt fehlen in den Großstädten knapp zwei Millionen leistbare Wohnungen

Mieten sind immer zu hoch und die meisten Mieterinnen und Mieter hätten nichts dagegen, wenn sie für dieselbe Leistung – also eine gute Wohnung – weniger zahlen müssten. Eigentümerinnen und Eigentümer hingegen hätten in der Regel nichts dagegen, wenn sie mit demselben Angebot einen höheren Ertrag erzielen könnten. Dieser Grundwiderspruch der Interessen lässt sich objektiv kaum auflösen.

Mit den Ansätzen der Kostenmiete und der Leistbarkeit gibt es zwei Konzepte, um die Mindest- beziehungsweise die Maximalhöhe von Mieten festzustellen. In einer wirtschaftlichen Betrachtung werden dabei die Mieteinnahmen als Kostenmiete bezeichnet, die eine auskömmliche Bewirtschaftung des Mietshauses ermöglichen. Dabei wird davon ausgegangen, dass durch die Mieten alle tatsächlichen Aufwendungen und eine angemessene Eigenkapitalverzinsung gedeckt werden können. Das Konzept der Leistbarkeit hingegen setzt die Miethöhe ins Verhältnis zu den Einkommen und soll sicherstellen, dass sich ein Haushalt mit einem spezifischen Einkommen die Miete auch leisten kann.

In den meisten sozialpolitischen Diskussionen wird davon ausgegangen, dass die Leistbarkeit gewährleistet ist, wenn die Gesamtwohnkosten (brutto, warm) 30 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens nicht überschreiten. Allein in den 77 Großstädten in Deutschland hat fast die Hälfte aller Miethaushalte eine Mietkostenbelastung von über 30 Prozent zu tragen. Besonders hohe Mietbelastungen haben die 6,5 Millionen Haushalte mit geringen Einkommen – sie sind auf Wohnungen für rund 5 Euro je Quadratmeter angewiesen. Schon jetzt fehlen in den Großstädten knapp zwei Millionen leistbare Wohnungen. Da leistbare Mieten in den meisten Städten unter den Durchschnittsmieten liegen und auch in frei finanzierten Neubauprojekten nicht realisiert werden können, ist hier eine öffentliche Verantwortung gefragt. Wer leistbares Wohnen auf Dauer sichern will, kommt um Förderprogramme und den Aufbau eines gemeinnützigen Wohnungssektors nicht herum.

Erklärung zum Fortbestand des Arbeitsvertrages mit der Humboldt-Universität zu Berlin

Die Humboldt-Universität hat von der zuvor öffentlich angekündigten, aber bisher nicht vollzogenen Kündigung meines Arbeitsvertrages Abstand genommen und sich entschieden, eine Abmahnung auszusprechen. Ich freue mich über diese Entscheidung und bin sehr froh, dass meine künftige Arbeit an der Humboldt-Universität ohne eine arbeitsrechtliche Auseinandersetzung gesichert ist.

In den letzten Wochen hat es eine intensive Debatte um meine kurze Zeit bei der Stasi und den öffentlichen Umgang damit gegeben. Es tut mir sehr leid, dass auch die Humboldt-Universität zum Teil dieser Auseinandersetzungen wurde. Ich hatte als 18jähriger im September 1989 eine Ausbildung beim MfS begonnen und mich zu einer langfristigen Laufbahn bei der Stasi bereit erklärt. Mit dem Selbstbild einer nach fünf Monaten beendeten und nicht abgeschlossenen Ausbildung habe ich meine Biographie der Wendezeit gegenüber der Presse offengelegt und auch Lebensläufe und Formulare entsprechend ausgefüllt. Es gab dabei weder den Anlass zu einer Verschleierung, noch den Versuch einer bewussten Täuschung gegenüber der Humboldt-Universität oder der Öffentlichkeit.

In Abstimmung mit der Humboldt-Universität habe ich gestern erklärt:

„Ich bin mir heute bewusst, dass ich gegenüber der HU objektiv falsche Angaben hinsichtlich meiner Tätigkeit für das MfS gemacht habe. Ich bedauere das und ebenso, dies nicht sofort gegenüber der HU zum Ausdruck gebracht zu haben. Ich versichere gleichzeitig, neben der Grundausbildung und den von mir geschilderten Tätigkeiten in der Auswertungs- und Kontrollgruppe keine weiteren Aufgaben, weder hauptamtlich noch inoffiziell, für das MfS erledigt zu haben.“

Die Humboldt-Universität hat daraufhin von einer Kündigung Abstand genommen und mir eine Abmahnung ausgesprochen, gegen die ich arbeitsrechtlich nicht vorgehen werde. Nach meiner noch bis Ende 2018 laufenden (unbezahlten) Beurlaubung werde ich an den Arbeitsbereich Stadt- und Regionalsoziologie am Institut für Sozialwissenschaften zurückkehren und freue mich schon jetzt auf die Zusammenarbeit mit meinen Kolleg*innen und den Student*innen. Allen, die mich in den letzten Wochen unterstützt haben, möchte ich herzlich danken.

Danke!

Ich möchte mich bei allen bedanken, die mir und uns in den letzten Wochen öffentlich und auch im Privaten viel Kraft durch ihren Zuspruch gegeben haben. Hunderte Emails und sms-Nachrichten haben mich erreicht und ich schaffen es gerade nicht, auf alle zu antworten.

Es gibt die vielen Wortmeldungen, die sich in die öffentlichen Debatten einmischen und Position beziehen. Ich bin beeindruckt von den vielen kleinen und großen Protestaktionen die in den letzten Wochen organisiert wurden. Insbesondere freut mich, dass es dabei nicht (nur) um meine Person und die Personalentscheidungen geht, sondern übergreifende und politische Fragen adressiert werden.

Daneben  gibt es die unzählichen Nachrichten und Anrufe von Freund/innen und Kolleg/innen, die ganz unabhängig von ihren Einstellungen und Ansichten zu den Ereignissen, vor allem über die Formen des Umgangs in den letzten Wochen erschrocken sind und mir ihr Mitgefühl zeigen. Es gibt die Eltern aus der Schule der Kinder und die Bekannten, die einfach nur ihre Hilfe anbieten, weil sie sehen, dass wir einen stressigen Alltag durchleben. Es gibt die vielen Unbekannten, die über die Presse von den Ereignissen erfahren haben und ihre Empörung auf diesem Wege zum Ausdruck bringen. Besonders berührt haben mich die Mails von Menschen , die eine andere DDR erlebt haben und mir von den Repressionen gegen ihre Familie berichtet haben und mir trotzdem alles Gute wünschen und viel Kraft, weil sie sich ihr Grundgefühl gegen Ungerechtgkeiten bewahrt haben.

In Wochen in denen die eigene Stimmung von den neuesten Veröffentlichungen und Politmauschelein bestimmt scheint, tut es gut, die vielen menschlichen Regungen zu spüren.  Dafür vielen, vielen Dank auf diesem Wege.

Pressespiegel der letzten Wochen (ausgewählte Beiträge)

Zu meiner Ernennung als Staatssekretär, den darauf folgenden Debatten und meinem Rücktritt sind hunderte Artikel in verschiedenen Zeitungen, Zeitschriften und Blogs  erschienen.  Dass es auch sehr sachliche und differenzierte Beiträge in den letzten Wochen gab, zeigt die folgende Auflistung. Sie geben hilfreiche Hintergrundinformationen, um die Diskussionen der letzten Wochen einordnen zu können. Es handelt sich um eine subjektive und sicher unvollständige Auswahl und ich freue mich über Hinweise auf weitere Beiträge in den Kommentaren.

Pressespiegel der letzten Wochen (ausgewählte Beiträge) weiterlesen

Erklärung zur Kündigungsabsicht der Humboldt-Universität

Ich wurde heute kurz vor 13 Uhr über meinen Anwalt von der geplanten Erklärung der Humboldt-Universität in Kenntnis gesetzt, dass die Ergebnisse der arbeitsrechtlichen Prüfung an den Personalrat der Humboldt-Universität übergeben wurden.

Sobald die Humboldt-Universität ihre heute erklärte Absicht, mich zu kündigen in die Tat umgesetzt hat und mir die Kündigung zugegangen ist, werde ich innerhalb der dafür vorgesehen Frist von drei Wochen beim Arbeitsgericht Berlin Klage erheben. Ziel der Klage wird sein festzustellen, dass die Kündigung rechtswidrig und damit unwirksam ist.

Ein Rücktritt ist kein Rückzug aus der Stadtpolitik

Andrej Holm: Mein Rücktritt als Staatssekretär Wohnen

Ich trete heute von meinem Amt als Staatssekretär in der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zurück.

In den letzten Tagen haben mir SPD und Grüne deutlich gemacht, dass sie mich als Staatssekretär politisch nicht unterstützen. Herr Müller von der SPD forderte öffentlich meine Entlassung. Damit wurde eine mögliche Zusammenarbeit in einer Koalition aufgekündigt. Die Koalition selbst steht an einem Scheideweg.

Heute ziehe ich eine Reißleine. Den versprochenen Aufbruch in eine andere Stadtpolitik hat diese Koalition bisher nicht ernsthaft begonnen – das allein mit meiner Personalie zu begründen, wäre absurd. Die Diskussionen um das Sicherheitspaket, der Verlauf der Parlamentsdebatte und der mehrfache Bruch von Vereinbarungen zwischen den Koalitionspartnern zeigen, dass die Koalition selbst in der Krise ist. Ich werde der zerstrittenen SPD nicht den Gefallen tun, sie auf meinem Rücken zerplatzen zu lassen.

Als ich dieses Amt vor fünf Wochen antrat, wollte ich ein bitter nötiges Reformprogramm für die Berliner Wohnungspolitik durchsetzen. Denn eines ist klar: Diese Stadt braucht eine Politik für die Mieterinnen und Mieter. Es muss Schluss sein mit einer Politik, die weiter die Profitinteressen der Immobilienbranche an erste Stelle setzt. Für diese Aufgabe bin ich mit den Hoffnungen, dem Vertrauen und der Unterstützung von vielen Berliner Stadtteil- und Mieteninitiativen, von kritischen WissenschaftlerInnen und der Partei DIE LINKE angetreten. Im Koalitionsvertrag war vereinbart, dass dieses Programm nicht nur gemeinsam mit diesen Kräften, sondern auch mit B90/Die Grünen und der SPD gestaltet werden wird.

Die Polemik derer, die mich als Staatssekretär verhindern wollten, zeigt, dass es bei der Entlassungsforderung nicht nur um meine Zeit bei der Stasi und um falsche Kreuze in Fragebögen ging, sondern vor allem um die Angst vor einer Wende im Bereich der Stadt- und Wohnungspolitik. Ich habe in den letzten Wochen unglaublich viel Unterstützung von der Stadtgesellschaft, aber auch von Wählerinnen und Wählern dieser Koalition erhalten. Über 16.000 Menschen haben sich in den letzten Wochen mit einer Unterschriftensammlung hinter mich gestellt und mir die Kraft gegeben, diese Auseinandersetzung über meine Person überhaupt bis zum heutigen Tage zu ertragen.

Entgegen der Darstellung vieler Medien habe ich mich nicht nur in den letzten Wochen bemüht, offen und selbstkritisch mit meiner Biographie umzugehen. Das war schmerzhaft für viele Opfer der DDR-Diktatur und das war auch schmerzhaft für mich. Die letzten Wochen hinterlassen bei mir den Eindruck, dass es auch im medialen Raum nur eine begrenzte Bereitschaft für die Wahrnehmung von Zwischentönen in DDR-Biographien gibt. Bevor die Entscheidung fiel, mich zu ernennen, war übrigens allen drei Koalitionspartnern bekannt, dass ich eine Stasi-Vergangenheit habe.

Die vielen Unterschriften gegen meinen Rücktritt zeigen: Nur selten standen sich veröffentlichte Meinung und Stimmung in der Stadtgesellschaft so konträr gegenüber. Mir ist bewusst, dass meine Biographie mit vielen Widersprüchen nicht in das Bild des klassischen Staatssekretärs passt. Doch wer einen gesellschaftlichen Aufbruch und eine Veränderung will, wird auch biografische Brüche und das Unangepasste akzeptieren müssen. Ich stehe nicht nur den Hausbesetzern näher als vielen privaten Investoren sondern vor allem den Mieterinnen und Mietern dieser Stadt. Gerade deshalb hat es so viel Unterstützung für mich gegeben.

Für mich hat der Debattenverlauf der letzten Wochen auch deutlich gemacht, dass es nicht allein um meine Person geht, sondern um das, was ich in dieser Regierung mit der LINKEN umsetzen wollte: eine soziale, gerechte Stadt und eine Wohnungspolitik , die sozialen und öffentlichen Belangen den Vorrang vor privaten Profiten einräumt. Darum ist auch der Druck gegen mich enorm erhöht worden, als die Unterstützung der Stadtgesellschaft für meine Person und die Politik, für die ich stehe, so zahlreich öffentlich wurde.

Dass Regierungsmitglieder nun frohlocken, endlich mit der Arbeit zu beginnen, kann nur verwundern. In der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen jedenfalls hatten wir bereits mit der Arbeit begonnen und haben zusammen mit einer professionellen und für die neue Politik aufgeschlossenen Verwaltung in den wenigen Wochen einige Ergebnisse erzielt. Wir haben die Mieterhöhungen im alten sozialen Wohnungsbau ausgesetzt, eine Initiative zur Verschärfung der Umwandlungsverordnung für den Bundesrat qualifiziert, erste Eckpunkte für eine Reform des alten sozialen Wohnungsbaus formuliert und Gespräche zur sozialen Neuausrichtung der landeseigenen Wohnungsunternehmen geführt.

Ich trete heute zurück, damit diese Politik weitergeführt werden kann, denn es gibt noch einiges zu tun. Die Wählerinnen und Wähler dieser Koalition werden den Erfolg der Regierung an der Umsetzung des Koalitionsvertrages messen. Die Schwerpunkte für die künftige Wohnungspolitik sind dringend notwendig und klar formuliert. Es geht um:

  • eine Reform der AV Wohnen, so dass in Zukunft Hartz-IV-EmpfängerInnen nicht mehr durch Mieterhöhungen aus ihren Wohnungen vertrieben werden können,
  • eine Reform des sozialen Wohnungsbaus, so dass dieser seiner Aufgabe wieder gerecht wird,
  • eine soziale Neuausrichtung der landeseigenen Wohnungsunternehmen und mehr Mitbestimmung für die MieterInnen,
  • wirksame Maßnahmen gegen die steigenden Mieten auf dem freien Wohnungsmarkt,
  • einen Stopp der Verdrängung einkommensschwacher Bewohner.

Für diese Wohnungspolitik werde ich mich ab heute wieder außerhalb eines Regierungsamtes engagieren. Berlin wird eine soziale und gerechte Stadt werden, wenn wir es wollen. Die Stadt gehört uns!

Um gemeinsam zu überlegen, wie wir auch ohne mich als Staatssekretär eine soziale Wohnungspolitik in Berlin am besten durch- und umsetzen können, lade ich alle Interessierten und insbesondere die zahlreichen stadt- und mietenpolitischen Initiativen heute Abend um 18 Uhr zur öffentlichen Diskussion ein. Ort: ExRotaprint, Gottschedstraße 4, 13357 Berlin (Wedding).

 

 

Erklärung des Staatssekretärs Dr. Andrej Holm zur Stellungnahme gegenüber der Humboldt-Universität zu Berlin

Die Stellungnahme zur Anhörung gegenüber der Humboldt-Universität habe ich gestern, am Donnerstag, den 12.01.2017 fristgerecht eingereicht.

Dazu erkläre ich:
Ich habe im September 1989 meine Ausbildung beim Ministerium für Staatssicherheit mit einer militärischen Grundausbildung und einer kurzen Dienstzeit in einer Abteilung der Bezirksverwaltung Berlin begonnen. Anschließend sollte ich nach einem Volontariat ein Studium der Journalistik als Berufsvorbereitung für meine Tätigkeit beim MfS absolvieren. Durch die politische Wende und die Auflösung des Staatssicherheitsdienstes in der DDR endete meine Ausbildung bei der Staatssicherheit nach 5 Monaten im Januar 1990.

Bis auf einen vom MfS legendierten Eintrag „Angestellter des MdI“ im sogenannten SV-Buch hatte ich keine Dokumente aus der Zeit beim MfS und habe mich in der Einordnung meines Status und meiner Diensteinheiten auf meine Erinnerungen verlassen. Eine begonnene Ausbildung zur Vorbereitung auf eine hauptamtliche Tätigkeit beim MfS entsprach 2005 meinem Wissensstand und Selbstbild. Entsprechend habe ich den Zusatzfragebogen zum Personalfragebogen 2005 ausgefüllt.

Mir war bewusst, dass dies mit der Entscheidung für ein öffentliches Amt zu Diskussion führen wird. Ich stelle mich dieser Diskussion und wenn dabei in den letzten Wochen durch unsensible Wortwahl oder unangebrachte Vergleiche, insbesondere bei den Opfern des Repressionsapparates der DDR der Eindruck entstanden sein sollte, ich wolle erlittenes Unrecht relativieren, so möchte ich hier klarstellen: Das lag nicht im Entferntesten in meiner Absicht und ich möchte mich dafür entschuldigen.

Ich bin mir bewusst, dass ich mit meiner als 18jähriger gefällten Entscheidung für eine Laufbahn beim Ministerium für Staatssicherheit Teil eines Repressionsapparates war und damit strukturell Verantwortung für die Überwachung und Repression in der DDR übernehmen muss. Diese historische Schuld nehme ich auf mich und bitte insbesondere diejenigen, denen in der DDR Leid zugeführt wurde, um Verzeihung. Ich habe großen Respekt vor all jenen, die in der DDR einen unangepassten Weg gingen. Ich habe für mich aus der Wendezeit die Lehre gezogen, fortan den Mut zu finden, selbst auch kritisch und unangepasst zu sein.

Der Humboldt-Universität zu Berlin, bei der ich mit kürzeren Unterbrechungen fast 20 Jahre als kritischer Wissenschaftler und Hochschullehrer gearbeitet habe, möchte ich für ihre jederzeit offene und unterstützende Haltung mir gegenüber danken.

Mein Abschied von der Humboldt-Universität ist ein Wechsel in eine andere Welt: Statt Seminaren mit Studierenden gibt es Routinen mit Verwaltungsbeamten, statt wissenschaftlicher Texte muss ich Gesetze und Verordnungen schreiben, statt durch Anerkennung für einen schlauen Gedanken wird meine Arbeit nun an Kennzahlen und Taten gemessen. Der Abschied von der Wissenschaft ist aber vor allem ein Aufbruch zu einer anderen Verantwortung. Zu einer Verantwortung für die Gestaltung der Wohnungspolitik in Berlin. Der Koalitionsvertrag und auch das Regierungsprogramm haben hohe Erwartungen für die Bewältigung der stadtpolitischen Herausforderungen geweckt. Insbesondere die sozialen und öffentlichen Belange sollen künftig den Vorrang vor privaten Gewinninteressen erhalten. Für die dabei zu erwartenden Konflikte brauche ich als Staatssekretär Wohnen eine klare politische Rückendeckung.

Ich hatte vor Abgabe meiner Stellungnahme gemeinsam mit der Humboldt-Universität zu Berlin einen Auflösungsvertrag erwogen, um eine politische Entscheidung, die sich nicht hinter einer arbeitsrechtlichen einreihen sollte, möglich zu machen. Da jedoch Diffamierungen und Vorwürfe gegen mich wortgewaltig und öffentlich vorgebracht wurden, die die arbeitsrechtliche Situation bewertet haben, halte ich in der aktuellen Situation eine arbeitsrechtliche Klärung parallel zu der politischen Entscheidung für unerlässlich.
Erstveröffentlichung der Pressemitteilung am 13.1.2017 auf der Website des Berliner Senats für Stadtentwicklung und Wohnen.

Anmerkungen zu meiner Biographie (10. Dezember 2016)

Rede auf dem Landesparteitag der Partei DIE LINKE am 10.12.2016 (Ausschnitte)

Anmerkungen zu meiner Biographie

(…) In den letzten Tagen hat es viele öffentliche Diskussionen zu dem Vorschlag gegeben, mich zum Staatssekretär in die neue Berliner Regierung zu berufen. Neben inhaltlichen Positionen wurden dabei auch Fragen zu meiner Biographie erhoben. Die angestrebte Position ist eine öffentliche, insofern habe ich volles Verständnis, für das öffentliche Interesse. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass insbesondere diejenigen, die in der DDR Unrecht erfahren haben, Fragen stellen und eine Offenlegung meiner Biographie einfordern.

Ich bin bisher offen mit meiner eigenen Geschichte umgegangen und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.

Ich bin in der DDR ausgewachsen und in einer antifaschistisch geprägten Familie groß geworden. Mein Urgroßvater wurde als Mitglied der KPD von den Nazis verfolgt und im KZ Sachsenhausen eingesperrt. Meine Großeltern überlebten die Nazizeit im Moskauer Exil. Mein Vater wurde da geboren, er war selbst hauptamtlicher Mitarbeiter bei der Staatssicherheit. Ich bin in einem Umfeld aufgewaschen, in dem mir die Verteidigung der DDR als sinnvoll erschien. Ich hatte als Jugendlicher ein unreflektiertes oder wie man damals gesagt hätte, klassenbewusstes Verhältnis zur Staatssicherheit. Als ich im Alter von 16 Jahren von Kollegen meines Vaters für eine langfristige Verpflichtung im Ministerium für Staatssicherheit geworben wurde, habe ich ohne lange darüber nachzudenken, zugestimmt. Nach einer Grundausbildung war ein ziviles Studium der Journalistik für mich vorgesehen.

Obwohl mir in den Jahren danach erste Zweifel an der Stasi und der DDR kamen, hatte ich nicht den Mut, den für mich vorgesehenen Weg zu verlassen und ‚Nein‘ zu sagen. Ich habe großen Respekt vor allen, die in der DDR den Mut aufbrachten, sich gegen das System zu stellen und aufzubegehren. Ich hatte diesen Mut nicht.

Zum 1. September 1989 wurde ich eingezogen und habe bis Mitte Oktober im Wachregiment „Felix Dzierzynski“ eine militärische Grundausbildung begonnen. Anschließend wurde ich in eine Abteilung der Berliner Bezirksverwaltung des MfS versetzt und der sogenannten Auswertungs- und Kontrollgruppe (AKG) zugeordnet. Dort wurden Informationen von anderen Abteilungen zusammengefasst. Meine konkrete Aufgabe beschränkte sich auf das Lesen von Betriebsberichten und Bereitschaftsdienste an den Wochenenden. Der Dienst endete für mich nach knapp 6 Monaten mit der Auflösung des AfS Mitte Februar 1990.

Anschließend habe ich bei der Volkssolidarität in Hohenschönhausen als Hauswirtschaftspfleger gearbeitet und alten Leuten die Toiletten geputzt. Das für mich eingeplante Volontariat bei der Tageszeitung ‚Junge Welt‘ und das Journalistik-Studium habe ich nicht angetreten.

Ich war zu diesem Zeitpunkt sehr erleichtert, dass mich die gesellschaftlichen Veränderungen und der Protest auf der Straße vor der bedrückenden Perspektive eines längeren Dienstes beim MfS bewahrt haben.

Ich war in der DDR Teil des Repressions- und Unrechtsapparates, habe aber im fehlenden Mut zum ‚Nein‘ selbst den Druck eines autoritären Systems gespürt. Meine persönliche Schlussfolgerung aus meiner Biographie ist die feste Überzeugung, dass eine freiheitliche, demokratische und rechtsstaatliche Gesellschaft allen anderen vorzuziehen ist. Ein Gemeinwesen sollte nicht von oben nach unten regiert, sondern immer im Dialog mit der gesamten Gesellschaft entwickelt werden. Ich selbst habe die Freiheiten der neuen Zeit nach 1990 ausführlich genutzt: Als Hausbesetzer, als Aktivist in mietenpolitischen Bewegungen, als kritischer Wissenschaftler.

Auch in meiner künftigen Aufgabe werde ich diese Ansprüche ernst nehmen und mich dafür einsetzen, dass der in der Koalitionsvereinbarung vereinbarte Dialog mit der Stadtgesellschaft auch praktisch umgesetzt wird. (…)