Kommentar: Mietendeckel nutzen und gemeinwirtschaftlichen Neubau stärken

Auf zum Neubau

Berlin Rot-Rot-Grün verfügt einen Mietenstopp in der Hauptstadt. Den gilt es zu nutzen (Erstveröffentlichung: Der Freitag, 26/2019)
Das baut aber keine einzige neue Wohnung!“ Dieses Argument prägte die Debatten vor dem Beschluss des rot-rot-grünen Senats in Berlin zum Mietenmoratorium, demnach die Mieten in Wohnungen ohne Preisbindung in der Hauptstadt in den nächsten fünf Jahren nicht steigen dürfen.

Es stimmt. Das Moratorium hat vor allem eine temporäre Schutzfunktion. Wie ein Regenschirm vor dem Nasswerden schützt, ohne dadurch gleich die Sonne scheinen zu lassen. Dieser Schirm wird dringend gebraucht. Die Mieten in bestehenden Mietverhältnissen in Berlin sind seit 2009 um 36 Prozent gestiegen – bei den Angebotsmieten liegt die Preissteigerung mit mehr als 65 Prozent noch höher. Da die Einkommen damit nicht Schritt halten konnten, müssen gerade arme Haushalte oft mehr als 40 Prozent ihrer geringen Einkommen für die Miete aufwenden.

Der Mietendeckel sieht auch eine Kappung der Modernisierungsumlage auf maximal 0,50 Euro pro Quadratmeter der Bruttowarmmiete vor, Mietsteigerungen bei Wiedervermietungen sollen ausgeschlossen werden. Damit wird die Verdrängungsökonomie unterbrochen: Ohne deutlich höhere Erträge bei der Neuvermietung verschwindet der wirtschaftliche Anreiz, seine Altmieter loszuwerden. So spannt der Mietendeckel für etwa 1,4 Millionen Mietwohnungen einen Schutzschirm.

Doch an den grundsätzlichen Konstellationen von Wohnungsknappheit, Bodenspekulation und sozialen Versorgungslücken ändert das Mietenmoratorium erst einmal nichts. Den Berliner MieterInnen soll eine Atempause gegönnt werden, heißt es in den Begründungen für das Mietgesetz. Das klingt bedrohlich nach der letzten Rast vor dem nächsten Aufstieg. Mit dem Mietendeckel wird Zeit gewonnen– die es für eine konsequente Sozialisierung der Wohnungsversorgung zu nutzen gilt.

Es ist wichtig, über die Einwände gegen den Mietendeckel zu sprechen. Die Argumente der Immobilienlobby waren erwartbar: Ein Mietendeckel ist verfassungswidrig. Ein Mietendeckel verschärft die Wohnungsnot. Ein Mietendeckel treibt Wohnungsunternehmen in die Pleite. Ein Mietendeckel verschreckt Investitionen und verhindert so den Neubau. Ob es vor dem Berliner Verfassungsgericht zu einem Normenkontrollverfahren kommt, wird man sehen. Die Panikmache und die Ankündigung eines Investitionsstreiks gehören jedoch zur typischen Choreografie von wohnungspolitischen Debatten. Aufgeführt wurde sie auch vor Einführung der Mietpreisbremse; zum Vorschlag höherer Sozialquoten für Neubauprojekte und zur Kürzung der Modernisierungsumlage. Die Marktlogik der Wohnversorgung bringt eine diametrale Abhängigkeit wirtschaftlicher Gewinne und sozialer Effekte mit sich: Höhere Gewinne und niedrige Mieten schließen sich aus. Jede soziale Auflage ist letztendlich eine Gewinnschmälerung und trifft auf den organisierten Widerstand der Wirtschaftsinteressen.

Der DDR-Vergleich hinkt

Typisch für diesen Widerstand ist der Vergleich mit der DDR: Der desaströse Altbaubestand zeige, ähnlich wie die kaputten Innenstädte in Spanien und Portugal, die verheerende Wirkung von staatlichen Mietpreisbegrenzungen. Doch im Gegensatz zur DDR-Miete reichen unter den aktuellen Bedingungen selbst Mieten von vier Euro pro Quadratmeter aus, um in einem bereits abgezahlten Wohnhaus alle notwendigen Instandhaltungsarbeiten durchzuführen, die Hausverwaltung zu bezahlen und einen angemessenen Eigenbetrag zu erhalten. Ein Mietendeckel gefährdet nicht die Wirtschaftlichkeit, er erzwingt den Verzicht auf die zusätzliche Steigerung eines leistungslosen Gewinns, der aus den Besitztiteln abgeleitet wird. Wenn Vermieter bei der Instandhaltung sparen, so nicht, weil die Mieterträge nicht ausreichen, sondern weil der Gewinnanteil maximiert wird.

Neu an den Protesten gegen den Mietdeckel in Berlin sind jedoch die scharfen Gegenstimmen von landeseigenen Wohnungsunternehmen und der Genossenschaften. Als zentrale Partner einer sozial ausgerichteten Wohnungspolitik rechneten sie vor, wie hoch die künftigen Mindereinnahmen durch den Mietendeckel ausfallen und wie sehr das ihre eigenen Neubauprojekte beschränken würde. So argumentierten die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften, dass sich der Verzicht auf eine jährliche Mietsteigerung um zwei Prozent im Laufe der fünf Jahre für die 300.000 Wohnungen auf etwa 500 Millionen Euro summieren würde – Geld, das für den künftigen Wohnungsbau fehle. Unabhängig davon, ob die Wohnungsbaugesellschaften tatsächlich regelmäßig flächendeckend die Mieten erhöhen – bisher waren es im Durchschnitt eher ein Prozent pro Jahr. Bleibt das Argument, dass ohne Mieterhöhungen weniger Geld für den Wohnungsneubau zur Verfügung stünde.

Ein kumulierter Mieterhöhungsverzicht von 250 bis 500 Millionen Euro in fünf Jahren klingt nach viel Geld. Doch ein Blick auf die Daten zeigt, dass der daraus ableitbare Neubaueffekt eher beschränkt wäre: Bei den derzeitigen Baukosten würden die gestrichenen Mieterhöhungen in der Summe für 300 bis 600 Neubauwohnungen pro Jahr reichen. Hinzu kämen nach ähnlicher Kalkulation noch einmal 180 bis 370 Wohnungen pro Jahr, die aus den nun gestoppten Mieterhöhungen von den Genossenschaften finanziert werden können. Ein maximaler Jahreseffekt von knapp 1.000 Wohnungen durch landeseigene Wohnungsunternehmen und Genossenschaften steht dabei einer Gesamtentlastung von 1,4 Millionen MieterInnen entgegen.

Der in Berlin dringend benötigte Neubau kann nicht aus Mietsteigerungen finanziert werden. Selbst wenn alle Mietsteigerungen – also auch die der privaten Vermieter – in den Neubau fließen würden, käme dabei eine Jahresneubauleistung von etwa 4.000 Wohnungen heraus. Gebraucht werden aber 20.000 neue Wohnungen pro Jahr. Es ist unseriös, den Mietendeckel der Neubauleistung gegenüberzustellen: Auch die Neubauwohnungen würden so kalkuliert werden, dass sie Erträge generieren und nicht vollständig aus den Mieterhöhungen im Bestand bezahlt werden. Und es wäre paradox, eine soziale Wohnversorgung im Neubau mit dem Verlust von leistbaren Mieten im Bestand erkaufen zu wollen.

Deutlich wird jedoch: Soziale Wohnversorgung ist nicht zum Nulltarif zu haben. Das Rechenbeispiel von landeseigenen Wohnungsunternehmen und Genossenschaften verweist auf die Defizite der bisherigen Förderkonditionen. Der öffentliche und gemeinnützige Wohnbau in Wien zeigt, dass eine langfristige Kalkulation ohne Mietsteigerungen mit hohen Neubauleistungen verknüpft werden kann. Voraussetzung dort ist neben einem auskömmlichen Förderprogramm die Gemeinnützigkeit der Wohnbauträger. Vorschläge für eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit werden hierzulande jedoch von der öffentlichen Wohnungswirtschaft und vielen Genossenschaften abgelehnt, zu tief sitzt scheinbar die Furcht vor staatlichen Auflagen und Bürokratie.

Damit das Berliner Mietenmoratorium nachhaltig wirkt, muss die Zeit genutzt werden, um Anreize für eine soziale Neuausrichtung des öffentlichen und genossenschaftlichen Wohnungsbaus zu setzen: durch entsprechende Förderbedingungen und eine sozial orientierte Liegenschaftspolitik. Sollte die Furcht der Immobilienwirtschaft zutreffen, dass der Mietendeckel private Investitionen verhindert, müssten die Grundstückspreise ja deutlich fallen – was für eine Ausweitung des öffentlichen Bodenfonds genutzt werden könnte, sodass neben den Fördergeldern auch die Grundstücksvergabe zur Sicherung eines sozial ausgerichteten Wohnungsbaus genutzt werden kann. Wenn Rot-Rot-Grün dem gemeinwirtschaftlichen Neubau Vorrang einräumen will, muss es Bedingungen für eine dauerhafte Bindung von bezahlbaren Wohnungen schaffen – ohne dass die Mieten dafür angehoben werden müssen.

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